Anleihegläubiger im Berichtstermin: Bestehen  Residualrechte?

Die Frage, ob Anleihegläubiger Residualrechte haben, stellt sich, wenn ein sogenannter gemeinsamer Vertreter nach dem Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) gewählt wurde. Wählen die Anleihegläubiger keinen gemeinsamen Vertreter nach dem SchVG, ist grundsätzlich jeder Anleihegläubiger teilnahmeberechtigt. Das Frage-, Rede- sowie Stimmrecht steht unstreitig dem jeweiligen Anleihegläubiger zu. Eine differenzierte Betrachtung ist für den Fall erforderlich, dass die Anleihegläubiger einen gemeinsamen Vertreter gewählt haben.

  1. Problemstellung

Der gemeinsame Vertreter hat im Außenverhältnis ein verdrängendes Mandat. Nach § 19 Abs. 3 SchVG ist der gemeinsame Vertreter allein berechtigt und verpflichtet, die Rechte der Gläubiger im Insolvenzverfahren geltend zu machen. Ob infolge der rechtsgeschäftlichen Vertretung der Anleihegläubiger durch den gemeinsamen Vertreter zugleich Residualrechte, wie bspw. das Teilnahme-, Frage und Rederecht der Anleihegläubiger, bestehen bleiben oder verdrängt werden, ist – trotz des klaren Gesetzeswortlauts – streitig.

Würden weitere einzelne Rechte bei den Anleihegläubigern verbleiben, wären diese teilnahmeberechtigt mit der Folge, dass mitunter tausende Anleihegläubiger am Berichtstermin teilnehmen könnten. Der damit verbundene (auch finanzielle) Mehraufwand würde die Masse belasten. Gerade die Gerichte verfügen regelmäßig nicht über die erforderlichen Raumkapazitäten, weshalb auf Kongress- und Stadthallten ausgewichen werden muss, was u. a. zu einer Verringerung der Masse führt.

2. Rechtslage: Bleiben Residualrechte der Anleihegläubiger bestehen?

Zu der Eingangs aufgeworfenen Frage gibt es keine höchstrichterliche Rechtsprechung. Der Gesetzeswortlaut des § 19 Abs. 3 SchVG spricht auf den ersten Blick gegen den Verbleib von Residualrechten: „Ein gemeinsamer Vertreter für alle Gläubiger ist allein berechtigt und verpflichtet, die Rechte der Gläubiger im Insolvenzverfahren geltend zu machen.“ Auch in Bezug auf die Hilfsrechte (Frage- und Rederecht) legt die Gesetzesbegründung ein verdrängendes Mandat nahe. Gleichwohl werden in der Literatur gegenteilige Auffassungen vertreten.

Erste Meinung in der Literatur

Teilweise wird für den Verbleib des Teilnahme-, Frage- und Rederechts die verbleibende Gläubigerstellung sowie ein individuelles Informationsrecht angeführt. Zudem sei das Teilnahme-, Frage- und Rederecht nicht von dem in § 19 Abs. 3 SchVG zugrunde zu legenden Sprachverständnis erfasst.

Zweite Meinung in der Literatur

Dem wird zu Recht entgegengehalten, dass das Sprachverständnis auch die Geltendmachung des Stimmrechts nicht erfasse und mithin das sprachliche Argument nicht überzeuge. Die Gläubigerstellung wird von der auch hier vertretenen Gegenmeinung nicht in Abrede gestellt. Die verdrängende rechtsgeschäftliche Vertretung stehe der Gläubigerstellung nicht entgegen.

Stellungnahme

Gegen ein Teilnahme-, Rede- und Fragerecht der durch einen von einem gemeinsamen Vertreter rechtsgeschäftlich vertretenen Anleihegläubiger sprechen gewichtige Argumente:

Ausgehend vom Gesetzeswortlaut und unter Berücksichtigung der Intention des Gesetzgebers soll die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters den Ablauf des Insolvenzverfahrens effektivier gestalten. Dies spricht auch für einen zentralen Ansprechpartner des Insolvenzgerichts und des Insolvenzverwalters im Berichtstermin und nicht nur im Prüftermin. Die zweifache Anmietung größerer Räumlichkeiten, die zur Minderung der Masse führt, ist gegenüber den übrigen Gläubigern nicht zu rechtfertigen. Das Insolvenzgericht ist für die Raumgröße des von ihm einberufenen Berichtstermin verantwortlich. Eine Verfehlung stellt eine Amtspflichtverletzung dar.

Hinzu kommt, dass ein „individuelles Informationsinteresse“ der einzelnen Anleihegläubiger nicht besteht. Der Berichtstermin dient der Information der Gläubigerversammlung und nicht der zweckwidrigen Ausforschung individueller Interessen einzelner (Anleihe-) Gläubiger.

3. Praxishinweis zu Residualrechten der Anleihegläubiger

Den einzelnen Anleihegläubiger, die durch einen gemeinsamen Vertreter vertreten  werden, verbleiben grundsätzliche keine Residualrechte. Ansprüche, die nicht aus dem Papier, also der Schuldverschreibung folgen, können gleichwohl von den Anleihegläubigern geltend gemacht werden und ermöglichen ein Teilnahme-, Frage- und Rederecht. Auch insoweit ist zu beachten, dass der Berichtstermin nicht zur Ausforschung von Einzelinteressen missbraucht werden darf.

Anleihegläubiger, die ihre Inhaberschaft der Papiere am Tag des Berichtstermins – etwa durch die Vorlage einer Sperrbescheinigung ihrer depotführenden Bank – nicht nachweisen können, werden nicht zum Termin zugelassen.

Über den Autor

Geschäftsführer, Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht Sascha Borowski

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