Harmonisierung des Insolvenzrechts: EU treibt die Wirtschafts- und Kapitalmarktunion voran

Der EU-Richtlinie aus dem Jahr 2019 über Präventive Restrukturierungsrahmen, die den deutschen Gesetzgeber zum Erlass des Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetzes (StaRUG) veranlasst hatte, lässt die EU mit dem Richtlinienentwurf (COM (2022) 702 final) eine weitere Initiative zur Harmonisierung des Insolvenzrechts folgen.

Beweggrund und Umsetzung

Ziel ist im EU-Raum: die Optimierung der Rückführung von Vermögenswerten zur Insolvenzmasse, die Effizienz von Insolvenzverfahren sowie die Verteilung der Insolvenzmasse an die Gläubiger.

Die Umsetzungsfrist soll wie bei der „StaRUG-Richtlinie“ zwei Jahre betragen. Nach fünf Jahren ist eine Evaluierung vorgesehen, verbunden mit dem deutlichen Hinweis der Kommission nachzubessern, wenn sich die erwarteten Harmonisierungseffekte nicht eingestellt haben sollten, z. B. wegen fehlender oder mangelhafter Umsetzung in nationales Recht der Mitgliedstaaten.

Mindestharmonisierung und Mindestschutz

Die EU strebt eine Mindestharmonisierung und einen Mindestschutz an. Das bedeutet, dass es den Mitgliedstaaten freisteht und unbenommen bleibt, über die Vorgaben der Richtlinie hinauszugehen, wenn dadurch ein (noch) größerer Gläubigerschutz bzw. eine noch bessere Behandlung der Gläubigerinteressen erreicht werden kann.

Anfechtung (Art. 4-12 RLE)

Ein Kernpunkt der Richtlinie ist die EU-weite Einführung der Anfechtung von Rechtshandlungen, die die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen. Dies wird in Deutschland zu keinem gesetzgeberischen Aktionismus führen, ist doch das Institut der Anfechtung – im Übrigen durch das Anfechtungsgesetz auch außerhalb von Insolvenzverfahren – hier seit Jahrzehnten bestens bekannt und bewährt.

Wie bei der Lektüre des gesamten Richtlinienentwurfes muss aber auch hier im Auge behalten werden, dass sich der Entwurf an alle Mitgliedstaaten richtet, eben auch an solche, bei denen das Insolvenzrecht hiesiger Prägung noch in den Kinderschuhen steckt und denen bspw. die Insolvenzanfechtung bis dato ein Fremdwort ist.

Wie schon bei der „StaRUG-Richtlinie“ dient das deutsche Anfechtungsrecht der EU als Blaupause. Deckungsanfechtung, Schenkungsanfechtung und Vorsatzanfechtung finden sich im Entwurf ebenso wie das Bargeschäftsprivileg, das expressis verbis für Forderungen von Rechtsanwälten und Wirtschaftsberatern gelten soll, allerdings nur für Deckungsgeschäfte, hier aber wiederum – anders als nach der InsO – auch für inkongruente Deckungen.

Soweit der Entwurf teilweise kürzere Anfechtungsfristen als die der InsO vorsieht, kann der deutsche Gesetzgeber dies im Hinblick auf den o. g. Mindestschutz gelassen sehen. Mehr Gläubigerschutz geht immer.

Aufspüren von Vermögenswerten (Art. 13-18 RLE)

Die EU möchte Insolvenzverwaltern den Zugriff auf schuldnerische Vermögenswerte im europäischen In- und Ausland zum Zwecke der Verwertung erleichtern.

Zu diesem Zweck sollen den von den Mitgliedstaaten besonders zu benennenden Gerichten oder Behörden umfängliche grenzüberschreitende Informations-, Abfrage- und Einsichtsrechte gewährt werden. Beispielhaft genannt werden Bankkontenregister, Treuhandregister, Vermögensregister, Grundbücher, Schiffs- und Luftfahrzeugregister, Pfand- und Spendenregister.

Pre-Pack-Verfahren (Art. 19-35)

Mit dem Pre-Pack-Processing (PPP) strebt die EU eine Verfahrensvariante an, die dem deutschen Insolvenzrecht in dieser Form neu ist und am ehesten mit einer übertragenden Sanierung nach Übergang vom Antragsverfahren ins eröffnete Verfahren verglichen werden kann.

Das PPP soll eine zügige Liquidation in Form eines vollständigen oder teilweisen Verkaufs des insolventen Unternehmens zum Zwecke seiner Fortführung ermöglichen und sich in zwei Phasen gliedern.

In einer vorinsolvenzlichen Vorbereitungsphase – ähnlich unserem Eröffnungsverfahren – soll durch einen gerichtlich bestellten Monitor im Rahmen eines fairen M&A-Prozesses der Bieter mit dem besten Angebot identifiziert oder im Rahmen einer vom Gericht durchgeführten öffentlichen Auktion gefunden werden.

In einer anschließenden insolvenzlichen Liquidationsphase soll dann der Monitor zum Insolvenzverwalter erstarken und den Verkauf sehr zeitnah umsetzen.

Dass sich der Käufer im Zuge dessen von „störenden“ Verträgen lösen kann, kennen wir bereits aus der Insolvenzordnung (InsO). Neu ist aber, dass betriebsnotwendige Verträge ohne Zustimmung des Vertragspartners auf den Käufer übertragbar sein sollen. Dies kennt das deutsche Insolvenzrecht bisher nicht. Bei einer übertragenden Sanierung in Form eines Asset Deals muss der Vertragspartner in der Regel einem Wechsel des Vertragspartners zustimmen.

Dass der Kauf grundsätzlich frei von Schulden und Verbindlichkeiten erfolgen soll, ist eine Gestaltungsfrage und nicht weiter zu diskutieren. Anders verhält es sich mit dem Richtlinienvorschlag, wonach Sicherheiten, die sich auf fortführungsrelevante Assets beziehen, zwingend freizugeben sind, damit der Käufer lastenfrei erwirbt. Allerdings wirft die deutsche Übersetzung aus der englischen Fassung des Richtlinienentwurfes die Frage auf, wie dies seitens der EU tatsächlich gemeint ist. Sollen solche Sicherheiten als eine Art Absonderungsrecht wie in § 223 InsO behandelt werden? Soll dem Verwalter ein Verwertungsrecht eingeräumt werden? Oder soll es sich tatsächlich um einen Zwangsverzicht des Sicherungsnehmers handeln, bei dem sich sofort die Frage einer möglichen Entschädigung stellt?

Dieser Punkt wird in der weiteren Diskussion und Richtlinienfindung sorgfältig beobachtet, geprüft und behandelt werden müssen. Ein Zwangsverzicht würde sich vermutlich eruptiv auf die Finanzierungs- und Kreditierungspraxis der Banken auswirken.

Insolvenzantragspflicht (Art. 36, 37 RLE)

Die haftungsträchtige Verpflichtung, beim Erreichen eines bestimmten Krisenstadiums einen Insolvenzantrag stellen zu müssen, nimmt jeder deutsche Insolvenzrechtler mit der juristischen Muttermilch auf.

Es gibt aber nicht wenige Mitgliedstaaten, denen eine solche Verpflichtung gänzlich fremd ist. Dies soll nun anders werden. Wiederum in Anlehnung an das deutsche Recht sieht der Richtlinienentwurf eine Antragspflicht für die Unternehmensleitung einer juristischen Person vor. Diese soll nur für den Fall einer Zahlungsunfähigkeit gelten. Von Überschuldung als weiterem Antragsgrund wie im deutschen Recht ist im Entwurf nicht die Rede. Dies wird bei uns sicherlich wieder die Diskussion über den Wegfall der Überschuldung als Insolvenzgrund, jedenfalls als antragsverpflichtenden Insolvenzgrund, entfachen. Andererseits wird nichts gegen eine Beibehaltung sprechen. Denn nach dem bereits zitierten Grundsatz des Mindestschutzes bleibt es den Mitgliedstaaten unbenommen, in Verfolgung eines größtmöglichen Gläubigerschutzes weiter zu gehen als es die Richtlinie verlangt. Und dass der weitere Insolvenzgrund der Überschuldung neben der Zahlungsunfähigkeit ausschließlich den Gläubigerinteressen dient, liegt auf der Hand.

So lässt der Richtlinienentwurf in diesem Punkt auch ausdrücklich eine strengere Haftung nach nationalem Recht zu.

Daher ist es für den deutschen Gesetzgeber auch kaum beachtlich, dass die EU eine dreimonatige Antragsfrist vorsieht, während die InsO bekanntlich und gläubigerfreundlicher eine Frist von drei Wochen bei Zahlungsunfähigkeit und von acht Wochen (aktuell sechs Wochen) bei Überschuldung vorsieht.

Auch eine strafrechtliche Verantwortlichkeit wegen Insolvenzverschleppung sieht der Richtlinienentwurf nicht vor, sondern belässt es vielmehr bei einer zivilrechtlichen Haftung auf den sogenannten Quotenschaden, d. h. auf die Klärung der Frage, um wieviel höher die Befriedigungsquote bei rechtzeitiger Antragstellung gewesen wäre.

Liquidation zahlungsunfähiger Kleinstunternehmen (Art. 38-57 RLE)

Am meisten diskutiert wird in Deutschland die Idee der EU, ein vereinfachtes Liquidationsverfahren einzuführen, und zwar für zahlungsunfähige Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und entweder einer Bilanzsumme oder einem Jahresumsatz von weniger als 2 Mio. €.  Wie brisant das Thema ist, verdeutlicht der Umstand, dass weit über 70 Prozent aller Insolvenzverfahren genau diese Unternehmensgröße betreffen.

Das Verfahren soll auch bei gänzlicher Vermögenslosigkeit möglich sein, dann vermutlich auf Kosten des jeweiligen Staates. Denn bei einer sicheren Quotenerwartung von Null wird man Gläubiger dafür nicht begeistern und dazu auch nicht verpflichten können.

Die Bestellung eines Insolvenzverwalters soll nur auf Antrag des Schuldners oder von Gläubigerseite erfolgen, und zwar auf deren Kosten, wenn die Masse es nicht hergibt. Kein Wunder, dass insbesondere die Insolvenzverwalterverbände dagegen Sturm laufen.

Da die Bestellung eines Insolvenzverwalters die Ausnahme bleiben soll, ist klar, dass das Verfahren in Eigenverwaltung geführt werden soll. Sofern der Schuldner bei der Antragstellung bereits eine Gläubigerliste beigefügt hat, soll auch eine Forderungsanmeldung obsolet sein. Die Verfolgung von Anfechtungsansprüchen soll grundsätzlich in das Ermessen der Gläubiger gestellt werden.

Damit würden gleich mehrere bewährte und sinnvolle Instrumente unseres Insolvenzverfahrens ausgehebelt.

Das Gericht soll kraft eigener Ermessensentscheidung die Verwertung und Verteilung der Erlöse veranlassen, in der Regel durch eine elektronische öffentliche Auktion. Unsere Insolvenzrichterinnen und Insolvenzrichter werden sich bedanken!

Aber es soll für sie noch besser kommen: Über die Eröffnung soll innerhalb von zwei Wochen entschieden werden, das Verfahren tunlich nur wenig länger als einen Monat dauern und spätestens zwei Wochen nach Erlösverteilung abgeschlossen sein.

So lobenswert und sinnvoll eine Vereinfachung und Straffung von Klein- und Kleinstverfahren auch sein mag, so bedenklich weit geht der Richtlinienentwurf auf dem Weg dorthin, indem er Missbrauch und die Gläubigergesamtheit schädigenden Handlungen den Weg ebnet. Bedenkt man zudem, dass der Entwurf auch für dieses Verfahren eine Restschuldbefreiung von nur noch drei Jahren vorsieht, stellt sich die Frage, ob es rechts- und auch gesellschaftspolitisch gewollt sein kann, sich allzu schnell, einfach und geräuschlos auf Kosten Dritter entschulden zu können.

Gläubigerausschuss (Art. 58-67 RLE)

Mit der Einführung eines Gläubigerausschusses nimmt die EU eine weitere Anleihe bei der InsO, wobei hier ggf. ehebliche Abweichungen zu beachten sein werden.

Der Richtlinienentwurf sieht – wie bei uns gekoppelt an die Unternehmensgröße – die Einsetzung eines 3- bis 7-köpfigen Gläubigerausschusses durch Beschluss der Gläubigerversammlung zur Unterstützung und Überwachung vor. Auch von einem vorläufigen Ausschuss spricht der Kommissionsentwurf, allerdings nur auf Antrag der Gläubigerseite, während § 22a InsO ein solches Initiativrecht auch dem Gericht, dem Schuldner und dem vorläufigen Verwalter einräumt. Ist die deutsche Regelung in diesem Punkt wirklich gläubigerfreundlicher und kann sie Bestand haben? Die gleiche Frage stellt sich im Hinblick auf die limitierte Zahl von Ausschussmitgliedern, während die InsO eine solche zahlenmäßige Beschränkung nicht vorsieht.

Noch virulenter wird diese Frage bei der Haftung der Ausschussmitglieder. Der Kommissionsvorschlag sieht grundsätzlich einen Haftungsausschluss für Mitglieder des Gläubigerausschusses vor, es sei denn, sie handeln vorsätzlich oder grob fahrlässig. Nach § 71 InsO hingegen haften die Ausschussmitglieder dagegen grundsätzlich für jedes Verschulden.

Ausblick

Mit Ausnahme des „verwalterlosen“ Verfahrens für Kleinstunternehmen findet sich im Richtlinienentwurf kaum etwas, was den deutschen Gesetzgeber ins Grübeln versetzen und zu maßgeblichen Änderungen der InsO veranlassen müsste. Vielmehr hat das deutsche Insolvenzrecht bei den meisten Entwurfsregelungen dankenswerterweise Pate gestanden. Gleichwohl sollten wir die weitere Diskussion über konkrete Inhalte nicht nur aufmerksam verfolgen, sondern an dieser auch durch die betreffenden Gremien aktiv teilnehmen. Denn eines steht fest: Aussitzen können wir diese weitere Harmonisierungsinitiative sicher nicht. Mit der vergleichsweise zügigen Behandlung und Verabschiedung der „StaRUG-Richtlinie“ hat die EU ihren sehr ernsthaften Reformwillen bereits einmal sehr deutlich gezeigt.

Über den Autor

Geschäftsführer, Partner, Rechtsanwalt, Dr. Utz Brömmekamp

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