Virtuelle Gläubigerversammlung: Chancen und Herausforderungen im digitalen Zeitalter

Trotz der theoretischen Möglichkeit, eine virtuelle Gläubigerversammlung durchzuführen, ist diese in der Praxis noch selten. Technische Defizite und unzureichende Schulung der Beteiligten stellen nach wie vor erhebliche Hürden dar.

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie führten ab März 2020 zu erheblichen Einschränkungen im Gerichtsbetrieb. Davon waren auch die Insolvenzgerichte betroffen, die Gläubigerversammlungen absagen, vertagen oder virtuell durchführen mussten.

Die Möglichkeit virtueller Gerichtstermine im Zivilprozess wurde bereits mit Wirkung zum 01.01.2002 eingeführt (§ 128a ZPO). In Insolvenzverfahren ist seit Anfang des Jahres 2021 durch die Änderung des § 4 InsO klargestellt, dass § 128 ZPO unter weiteren Voraussetzungen entsprechend anzuwenden ist.

Im Zuge der Coronapandemie wurde von dieser Möglichkeit in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht. In der bisherigen Praxis spielen virtuelle Gläubigerversammlungen jedoch kaum eine Rolle. Weiterhin scheitern virtuelle Gerichtstermine regelmäßig noch an der verbesserungswürdigen Ausstattung der Gerichte mit der erforderlichen Technik sowie an der mangelnden Schulung der Beteiligten.

1. Was ist eine virtuelle Gläubigerversammlung?

Unter dem Begriff des virtuellen Gerichtstermins bzw. der virtuellen Gläubigerversammlung ist eine Mischform zu verstehen. Der Gerichtstermin bzw. die Gläubigerversammlung findet weiterhin als Präsenztermin statt. Es liegt im Ermessen des Gerichts, einem sachlich abgrenzbaren Personenkreis die Teilnahme an diesem Präsenztermin virtuell zu ermöglichen. Die Verfahrensbeteiligten haben die Möglichkeit, eine entsprechende Anordnung bei Gericht zu beantragen. Dies kann insbesondere bei allen insolvenzspezifischen Gerichtsterminen relevant werden.

2. Relevante Gerichtstermine im Insolvenzverfahren

Im Insolvenzverfahren finden eine Vielzahl von Terminen vor dem Insolvenzgericht statt.

• Insolvenzantragsverfahren: Im Insolvenzantragsverfahren kann das Insolvenzgericht, das zur Amtsermittlung verpflichtet ist, insbesondere eine Beweisaufnahme durchführen.

• Berichts- und Prüfungstermin: Im eröffneten Insolvenzverfahren findet der Berichts- und Prüfungstermin statt, in dem der Insolvenzverwalter oder die eigenverwaltende Schuldnerin über die wirtschaftliche Lage der Schuldnerin und deren Ursachen zu berichten hat.

• Gläubigerversammlung: Im Berichtstermin beschließt die Gläubigerversammlung über verfahrensleitende Maßnahmen wie die Bestätigung oder Neuwahl eines Verwalters, die Einstellung des Geschäftsbetriebs oder die Verwertung von Massegegenständen.

• Schlusstermin: Am Schlusstermin als abschließender Gläubigerversammlung nehmen regelmäßig keine oder nur wenige Gläubiger teil.

• Erörterungs- und Abstimmungstermin: Dagegen ist der Erörterungs- und Abstimmungstermin über einen Insolvenzplan naturgemäß gut besucht. In dieser Gläubigerversammlung werden der Insolvenzplan und die Stimmrechte der Beteiligten erörtert. Anschließend findet die Abstimmung über den Insolvenzplan statt.

Insbesondere die virtuelle Teilnahme an Gläubigerversammlungen stellt die Verfahrensbeteiligten vor erhebliche Herausforderungen.

3. Herausforderungen bei virtuellen Gläubigerversammlungen

Im Insolvenzverfahren haben sich Gläubigerausschusssitzungen im Rahmen von Videokonferenzen mittlerweile etabliert. Virtuelle Gläubigerversammlungen sind dagegen noch die Ausnahme. Im Insolvenzverfahren besteht die Möglichkeit der Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung gemäß § 128a ZPO mit der Maßgabe, dass bei Gläubigerversammlungen sowie sonstigen Versammlungen und Terminen die Beteiligten in der Ladung auf die Verpflichtung hinzuweisen sind, wissentliche Ton- und Bildaufnahmen zu unterlassen und durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass Dritte die Ton- und Bildübertragung nicht wahrnehmen können (§ 4 InsO).

Technische Voraussetzungen

In der Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 4 InsO wird ausgeführt, dass bei der Ermessensentscheidung über die Zulassung der virtuellen Teilnahme insbesondere zu berücksichtigen ist, ob das Insolvenzgericht über eine technische Ausstattung verfügt, die hinreichend zuverlässig arbeitet, den Anforderungen des Datenschutzes und der Datensicherheit gerecht wird und eine effektive Sitzungsleitung ermöglicht. An den meisten Insolvenzgerichten dürfte es bereits an den technischen Voraussetzungen und der erforderlichen Schulung der beteiligten Richter und Rechtspfleger fehlen. Es wird daher erforderlich sein, zunächst flächendeckend die technischen und personellen Voraussetzungen zu schaffen, bevor eine „virtuelle Teilnahme“ an einer Gläubigerversammlung ernsthaft in Betracht gezogen werden kann.

Teilnahmeberechtigung

Da es sich bei Gläubigerversammlungen nicht um öffentliche Verhandlungen handelt, hat das Insolvenzgericht auch dafür Sorge zu tragen, dass an Gläubigerversammlungen tatsächlich nur Personen teilnehmen, die hierzu berechtigt sind.

Teilnahmeberechtigt sind neben dem Insolvenzverwalter und den organschaftlichen Vertretern der Schuldnerin die Mitglieder des Gläubigerausschusses sowie die Insolvenzgläubiger und die absonderungsberechtigten Gläubiger.

Das Gericht hat darüber hinaus sicherzustellen, dass die spontane Teilnahme von Gläubigern, die ihre Forderungen noch nicht zur Tabelle angemeldet haben, möglich ist und Nichtberechtigte ausgeschlossen werden. Die Praxis zeigt, dass insbesondere in Großverfahren die Kontrolle der Teilnahmeberechtigung eine Herausforderung darstellt. Die Klärung der Teilnahmeberechtigung obliegt dem Gericht und nicht externen Dienstleistern.

Interaktion der Teilnehmer

Die zugeschalteten Teilnehmer müssen die Möglichkeit haben, mit den Versammlungsteilnehmern in gleichem Maße zu interagieren wie die anwesenden Teilnehmer. Hierzu dürfte es erforderlich sein, dass sich alle Teilnehmer gegenseitig audiovisuell wahrnehmen können. Andernfalls könnten Beschlüsse der Gläubigerversammlung anfechtbar sein.

Bestimmung der Teilnehmer

Ein Ermessen besteht auch bei der Bestimmung des Personenkreises, dem ein virtueller Zugang zur Gläubigerversammlung ermöglicht werden soll. Der Personenkreis ist nach pflichtgemäßem Ermessen sachlich abzugrenzen (BT-Drs. 19/24181, 192), d. h. die Verfahrensbeteiligten dürfen nicht ohne sachlichen Grund unterschiedlich behandelt werden. Zulässig ist eine Differenzierung allerdings bei nachgewiesenen Einschränkungen der Reisefähigkeit oder bei besonders großer Entfernung zum Verhandlungsort (BT-Drs. 19/24181, 192). Die virtuelle Teilnahme sollte daher gerade auch Verfahrensbeteiligten im Ausland ermöglicht werden.

4. Fazit: Die Zukunft der virtuellen Gläubigerversammlungen

Auch wenn der Gesetzgeber die rechtlichen Voraussetzungen für virtuelle Gläubigerversammlungen bereits ab 2021 geschaffen hat, fehlen noch die technischen Voraussetzungen, um den dargestellten Herausforderungen flächendeckend gerecht zu werden.

Insbesondere Gläubiger mit weiten Anreisewegen dürften regelmäßig die Option einer virtuellen Teilnahme an Gläubigerversammlungen in Betracht ziehen und daher bei den Insolvenzgerichten beantragen, ihre virtuelle Teilnahme zu ermöglichen. Die coronabedingten Einschränkungen haben gezeigt, dass die Insolvenzgerichte flexibel und innovativ reagieren können. Es wäre wünschenswert, dass die Ausnahme im Interesse der Gläubiger zur Regel wird.

Über den Autor

Geschäftsführer, Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht Dr. Jasper Stahlschmidt

Über den Autor

Rechtsanwalt Daniel Eckart

Pressemitteilungen

Veranstaltungen

Newsletter

Bücher

Studien & Leitfäden

Videos